Ungleiche „Glaubensgeschwister“



Drei Fragen an… Michael Leemann
zuReligion und Rassismus



Abbildung: Unter der scheinbaren Harmonie doch ein Ansatzpunkt, um die Verschränkung von Religion und Rassismus zu untersuchen: die Herrnhuter Mission auf der Karibikinsel St. Croix, hier in einer Darstellung aus Oldendorps „Geschichte der Mission der evangelischen Brüder auf den caraibischen Inseln S. Thomas, S. Croix und S. Jan“ (1777). Lizenz: Bayrische Staatsbibliothek, NoC-NC-1.0.



Als Historiker setzen Sie sich mit der Verbindung von Religion und Rassismus auseinander. Sie schlagen vor, hier eine Erweiterung gegenüber dem herrschenden Paradigma vorzunehmen. Wie sieht die klassische Sicht aus und was macht sie erstmal plausibel?

Michael Leemann: Wir sind es gewohnt, Rassismus als etwas zu verstehen, bei dem es letzten Endes um den Körper geht. Tatsächlich wimmelt es in der Geschichte von Rassismus nur so von Beispielen dafür, dass mit Blut, Hautfarbe oder angeblichen Schädelformen die Ungleichheit verschiedener Menschen erklärt, ja: gerechtfertigt wurde. In diesen Fällen wurden vermeintliche Unterschiede zwischen Menschengruppen zu ‚natürlichen‘ Unterschieden gemacht.

Historiker*innen haben bestens erforscht, wie diese Erklärungsstrategie seit dem Spätmittelalter verstärkt zum Zuge kam. Lange haben sie allerdings übersehen, dass daneben immer auch menschliche Eigenschaften Bestandteil von ‚Rasse‘-Einteilungen waren, die nicht mit Körperlichkeit zusammenhängen – vor allem Religion wurde von der Forschung teilweise ganz bewusst ausgeklammert. Dabei spielte Religion historisch eine immense Rolle für rassistische Begründungen, und sie tut es auch heute: Man denke nur an den antimuslimischen Rassismus, der gerade nicht mit Biologie operiert, sondern eine gewissermaßen geerbte Religionszugehörigkeit zum unausweichlichen Schicksal von Menschen macht.


Historiker*innen haben lange übersehen, dass auch menschliche Eigenschaften Bestandteil von ‚Rasse‘-Einteilungen waren, die nicht mit Körperlichkeit zusammenhängen – vor allem Religion wurde teilweise ganz bewusst ausgeklammert.“


Um gegen diese Vernachlässigung von Religion zu argumentieren, stützen Sie sich auf die dänisch-westindische Mission der Herrnhuter Brüdergemeine. Was war das überhaupt für eine Mission?

Michael Leemann: Die Herrnhuter Brüdergemeine ist eine pietistische Glaubensgemeinschaft, die in den 1730er-Jahren eine weltweite Missionstätigkeit begann. Das erste Missionsgebiet befand sich auf den drei Karibikinseln St. Thomas, St. John und St. Croix, die damals eine dänische Kolonie bildeten und heute zu den US-amerikanischen Jungferninseln gehören. Im 18. Jahrhundert dominierten auf den Inseln Zuckerplantagen, für deren Bewirtschaftung Menschen afrikanischer Herkunft versklavt wurden. Die Herrnhuter Missionar*innen versuchten, diese Versklavten zum Christentum zu bekehren. Religionshistorisch ist diese Mission insofern von Bedeutung, als sie der erstmalige systematische Versuch vonseiten einer protestantischen Gemeinschaft war, Schwarze[1] Versklavte in den Amerikas zu christianisieren.

Manche Historiker*innen argumentieren, das Christentum stehe im Gegensatz zu Rassismus, weil vor dem christlichen Gott alle Gläubigen gleich seien. Inwiefern sehen Sie Rassismus und Religion in der dänisch-westindischen Mission verknüpft?

Michael Leemann: Die weißen Herrnhuter Missionar*innen predigten den Versklavten, dass Christus am Kreuz für alle Menschen gestorben sei und deshalb auch sie Christ*innen werden können. Hier gibt es also durchaus ein Moment von Gleichheit. Wenn wir genauer hinschauen, stellen wir fest, dass die weißen Missionar*innen Schwarze Herrnhuter*innen zwar als ‚Glaubensgeschwister‘ sahen, aber glaubten, dass unter ihnen das ‚Heidentum‘ gleichsam natürlich weitergegeben werde. In den Augen der Missionar*innen neigten Schwarze Menschen aufgrund dessen zu besonderer Sündhaftigkeit und konnten nicht gleichwertige Christ*innen werden.

Religiöse Vollkommenheit wurde zu einer Frage von Abstammung: Für weiße Herrnhuter*innen gehörten ‚Heidentum‘ und schwarze Hautfarbe unauflöslich zusammen, auch wenn sie sich nicht immer einig waren, was diese Verbindung begründete. Nachverfolgen lässt sich das zum Beispiel anhand der von mir untersuchten Editionsgeschichte der Geschichte der Mission der evangelischen Brüder auf den caraibischen Inseln S. Thomas, S. Croix und S. Jan, ein zweibändiges Werk, das 1777 erschienen ist und von der dänisch-westindischen Mission der Brüdergemeinde berichtet.

Mehr zum Thema: Michael Leemann:  „Weiße“ und „schwarze Schafe“. Versklavung, Rassismus und Religion in Berichten zur Herrnhuter Mission in Dänisch-Westindien, in: Aust, Cornelia/Flüchter, Antje/Jarzebowski, Claudia (Hg.): Verglichene Körper. Normieren, Urteilen, Entrechten in der Vormoderne, Stuttgart 2022 (Studien zur Alltags- und Kulturgeschichte 35), S. 137–160.

Michael Leemann ist seit Mai 2023 Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der DFG-Kollegforschungsgruppe „Polyzentrik und Pluralität vormoderner Christentümer“. Zuvor hat der Historiker an der Georg-August-Universität Göttingen geforscht und dort seine Dissertation zu Vorstellungen von sogenannten ‚Rassen‘ im Kontext christlicher Missionen des 18. Jahrhunderts eingereicht.

In der Reihe „Drei Fragen an…“ stellen wir in loser Folge Wissenschaftler*innen der Goethe-Universität und ihre Forschungsprojekte zu den Themen Religion und Religiosität vor. Dies ist die erste Folge.


[1] ‚Schwarz‘ wird hier mit einem Großbuchstaben beginnend geschrieben, um deutlich zu machen, dass es sich bei dieser Bezeichnung nicht um eine biologische Zuschreibung handelt, sondern um eine soziale Konstruktion. Analog dazu wird ‚weiß‘ kursiv geschrieben.